Bildung beginnt nicht in der Schule – Kita muss beitragsfrei sein

Bildung

Auf dem Weg zur vollständigen Beitragsfreiheit unterstützt der Landeselternbeirat (LEB) nachdrücklich, dass in Nordrhein-Westfalen auch das vorletzte Jahr in der Kita beitragsfrei werden soll. Die offizielle Vertretung der Eltern von über 600.000 Kindern in Kitas und Tagesbetreuung im Land sieht darin einen unverzichtbaren Schritt in die richtige Richtung. Der LEB vertritt die Auffassung, dass Bildung – gerade auch die frühkindliche – grundsätzlich kostenlos sein muss. Bildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und muss von der gesamten Gesellschaft – also über Steuern – finanziert werden. Sie den Familien aufzubürden, die ohnehin die größte Last für die gesellschaftliche Zukunft tragen, ist nicht mehr zeitgemäß.

Die frühkindliche Bildung und Erziehung ist ebenso essenziell für eine gelingende Zukunft wie die Schulbildung und muss deshalb wie diese beitragsfrei sein. Es wäre fatal, den Wert und die Relevanz dieser Bildungsarbeit zu unterschätzen. Prägende emotionale, soziale, kognitive und motorische Fähigkeiten werden gerade in den ersten Lebensjahren entwickelt. Handicaps, wie problematisches Sozialverhalten oder das Unvermögen, sich seiner Umwelt adäquat sprachlich mitzuteilen, kann nur durch eine gute Kinderbetreuung im vorschulischen Alter entgegengewirkt werden. Um Ungleichheiten der Bildungschancen zu reduzieren und das Bildungspotenzial der Kinder bestmöglich zur Entfaltung zu bringen, muss es Ziel sein, dass alle Kinder soziale, emotionale, kognitive und motorische Fähigkeiten möglichst gleich stark entwickeln können. Beitragsfreie Kindergärten sind eine wichtige Voraussetzung dafür. Bildung ist nur dann sozial gerecht, wenn der Zugang zu dieser für jedes Kind möglich ist.

Die Bedeutung der frühkindlichen Bildung wird offensichtlich im Gegensatz zur schulischen oder akademischen Bildung weitgehend unterschätzt. Andernfalls würde im Bereich der frühkindlichen Bildung keine so enorme Ungleichheit bestehen. Diese Geringschätzung muss zum Wohle der Kinder und im gesamtgesellschaftlichen Interesse dringend überwunden werden. Wer akzeptiert, dass die vorschulische Bildung an Beiträge gebunden ist, unterstellt entgegen jeder wissenschaftlichen Erkenntnis, dass die frühkindliche Bildung weniger wichtig wäre als die schulische Bildung, deren Gebührenfreiheit in Nordrhein-Westfalen Verfassungsrang hat.

Wie kann es sein, dass das Einkommen der Eltern darüber entscheidet, ob und wann Kinder in die Kita gehen dürfen? Die gesellschaftliche Verpflichtung nach der Europäischen Sozialcharta, Kindern „die Betreuung, Unterstützung, Erziehung und Ausbildung zu gewährleisten, deren sie bedürfen“ (Art. 17) beginnt nicht erst mit dem Schuleintrittsalter.

Eine Erhebung der Bertelsmannstiftung (Elternzoom 2018) zeigt, dass armutsgefährdete Familien in Deutschland doppelt so stark belastet werden (8,8 %) wie Familien, deren Einkommen über der Armutsgrenze liegt (5,2 %), (Elternbeitrag in Relation zu Haushaltsnettoeinkommen), trotz einkommensabhängiger Beitragsbemessung. Das Deutsche Jugendinstitut geht davon aus, dass eine Beitragsbefreiung zur Folge hätte, dass sich gerade mehr Eltern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zur Nutzung frühkindlicher Bildungsangebote entscheiden, wodurch sie die Bildungschancen der Kinder verbessern. Durch den Wegfall der finanziellen Hürde bei Geringverdienern würde es zu einer Entlastung kommen und ein Anreiz für das Nutzen von frühkindlichen Bildungsangeboten geschaffen. Aufstieg durch Bildung kann nur zu einem umsetzbarem Versprechen werden, wenn Beitragsfreiheit gegeben ist.

In NRW herrscht ein Beitragschaos ohnegleichen. Beispielsweise muss eine Familie mit einem Jahresbruttoeinkommen von 25.001 Euro für einen Vollzeit-Kitaplatz bei einem Kind unter zwei Jahren in Aachen nichts für den Platz bezahlen, wohingegen in Altena und drei weiteren Kommunen unter den selben Umständen jährlich über 2.000 Euro bezahlt werden müssten. Bei einem Durchschnittseinkommen von 43.050 Euro zahlt ein Haushalt in Wermelskirchen, Siegen, im Hochsauerlandkreis und in Schwerte weniger als 1000 Euro jährlich, während dieser Haushalt in Bottrop und 13 weiteren Kommunen über 3.000 Euro, in Lage sogar 4.008 Euro für die Kinderbetreuung zahlen muss. Für Familien ist nicht nachvollziehbar, weshalb ihr Beitrag oftmals mehr von der Wahl des Wohnorts (der Finanzstärke/-schwäche ihrer Kommune) als von ihrer eigenen finanziellen Leistungsfähigkeit abhängt. Diese Ungerechtigkeit ist ein weiteres Argument dafür, den Kitabesuch beitragsfrei zu machen. Beitragsfreiheit, wie bereits im letzten Kindergartenjahr vor der Einschulung praktiziert, ist deshalb auch ein geradezu zwingender Beitrag zur Herstellung gleicher Lebensverhältnisse im Land.

Durch die UN-Kinderrechtskonvention hat sich auch Deutschland dazu verpflichtet, „alle geeigneten Maßnahmen“ zu treffen, „um sicherzustellen, dass Kinder berufstätiger Eltern das Recht haben, die für sie in Betracht kommenden Kinderbetreuungsdienste und -einrichtungen zu nutzen.“ (Art. 18). Beitragsfreiheit ist eine solche geeignete Maßnahme, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf grundsätzlich stärkt. Der Wegfall der Kitabeiträge wäre eine direkte und spürbare Entlastung für Familien, denn aktuell steigt das Armutsrisiko mit der Zahl der Kinder. Meistens sind es Frauen, die den beruflichen Wiedereinstieg zurückstellen, da dieser durch die hohen Beiträge unattraktiv erscheint. Für deren Eigenständigkeit und das Armutsrisiko hat dies jedoch negative Folgen.

Auf völliges Unverständnis stößt es beim Landeselternbeirat, dass das Thema Beitragsfreiheit von vielen Fachverbänden dargestellt wird, als wäre die Teilhabe aller Kinder an frühkindlicher Bildung kein vorrangiges Ziel, das mit der Reform des Kibiz derzeit angegangen werden soll.

Verfasserin: Katja Wegner-Hens unter Mitarbeit von Darius Dunker und Irina Prüm

Der Landeselternbeirat (LEB) ist die in § 9b des Kinderbildungsgesetzes (KiBiz) verankerte Vertretung der Eltern von über 600.000 Kindern an Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen.

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