Stellungnahme des Landeselternbeirats zur KiBiz-Reform 2019

„Das natürliche Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu bestimmen, bildet die Grundlage des Erziehungs- und Schulwesens.“

(Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen, Artikel 8)

Der Landeselternbeirat der Kindertagesstätten in NRW (LEB), die gesetzliche landesweite Elternvertretung nach § 9b KiBiz, begrüßt die Vorlage eines Reformentwurfs für das nordrhein-westfälische Kinderbildungsgesetz (KiBiz). Insgesamt stellen wir fest, dass der Gesetzentwurf zahlreiche Ansätze enthält, die aus Sicht des LEB zu Verbesserungen führen könnten. Oft finden sich gute Regelungen, die jedoch leider nur dem Grundsatz nach gelten sollen und eine Öffnung bis hin zum genauen Gegenteil ermöglichen. Somit bleibt der Entwurf insgesamt weit hinter den Erwartungen zurück, die wir Eltern als größte beteiligte Gruppe und verfassungsmäßige Vertretung der Kinder haben. Wir erkennen kaum Verbesserungen hinsichtlich der Elternmitbestimmung, der finanziellen Entlastung der Familien und einer bedarfsgerechten und qualitativ hochwertigen Betreuung.

Für eine verfassungsgemäße Elternmitbestimmung

Im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes erklären die unterzeichnenden Staaten: „Für die Erziehung und Entwicklung des Kindes sind in erster Linie die Eltern oder gegebenenfalls der Vormund verantwortlich.“ Um die Eltern bei dieser Aufgabe zu unterstützen, sorgen die Vertragsstaaten für Institutionen, Einrichtungen und Dienste und stellen sicher, dass Kinder berufstätiger Eltern diese nutzen können. (UN-Kinderrechtskonvention, Artikel 18)

Der Zustand, dass Eltern zwar in erster Linie für alle Fragen der Erziehung zuständig sind, jedoch fast keine gesetzlich verankerten Mitbestimmungsrechte an den Kindertagesstätten haben, ist nach Auffassung des LEB nicht mit Artikel 8 (1) der Landesverfassung („Das natürliche Recht der Eltern, die Erziehung und Bildung ihrer Kinder zu bestimmen, bildet die Grundlage des Erziehungs- und Schulwesens.“) und Artikel 6 (2) des Grundgesetzes („Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“) vereinbar. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch sieht (in § 1626) Pflicht und Recht zur Sorge für minderjährige Kinder bei den Eltern.

Dass die verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten der Eltern eine effektive Mitbestimmung in den Einrichtungen erfordern, hat der Gesetzgeber für den Bereich der Schulen seit langem erkannt. In Zeiten, in denen der Besuch einer Kindertagesstätte kein Sonderfall, sondern der – auch politisch gewollte – Regelfall ist, ist eine Ungleichbehandlung der Eltern jüngerer Kinder nicht zu rechtfertigen, zumal die wichtigsten Grundsteine der Erziehung im vorschulischen Alter gelegt werden. Eine Ausprägung des „Rats der Einrichtung“ in § 10 des Gesetzentwurfs nach Art der Schulkonferenz einer Grundschule mit Entscheidungsbefugnissen würde hier Abhilfe schaffen.

Die vage definierten Mitwirkungsrechte der Eltern waren bereits vom Verwaltungsgericht Düsseldorf in den Erläuterungen zu einem Urteil vom 25. 3.2013 (Az. 24 K 8497/12) moniert worden, nach dessen Auffassung Bestimmungen des KiBiz zu den Mitwirkungsmöglichkeiten der Eltern den Anforderungen des aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatzes der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG) offenbar nicht genügen. Der vorliegende Gesetzentwurf behebt den Mangel nicht.

Bildung ist gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Durch die Ausweitung der Beitragsfreiheit auf die letzten beiden Kita-Jahre wird anerkannt, dass die vorschulische Arbeit an den Kindertagesstätten ein Teil des Bildungswesens ist und deshalb analog zu Artikel 9 der Landesverfassung gebührenfrei zu stellen ist. Allerdings sieht der LEB die Notwendigkeit, den Besuch von Kindertagesstätten grundsätzlich von Gebühren zu befreien. Jede Grenzziehung bei einem bestimmten Alter, ab dem nicht mehr bloße Betreuung sondern Bildung gefordert wäre, ist willkürlich, wenn man beispielsweise bedenkt, dass junge Menschen sogar schon vor der Entwicklung des aktiven Sprachvermögens mit der Entwicklung ihrer moralischen Konzepte beschäftigt sind [vgl. J. Kiley Hamlin, Karen Wynn, Paul Bloom, 2007]. Beim vorgelegten Finanzierungsmodell sieht der LEB die Gefahr, dass sich die Gebühren für die ersten Jahre erhöhen werden und die Entlastung von Wenigen einer höheren Belastung für Viele gegenüber steht.

Grundsätzlich sollte die Finanzierung über Kindpauschalen dringend von einer Grundfinanzierung abgelöst werden, um eine landesweite Vereinheitlichung der Betreuungsqualität sicherzustellen und den Trägern zu ermöglichen, den Betreuungsumfang anzubieten, der von den Eltern gewünscht wird, ohne unwirtschaftlich und mit Risiko arbeiten zu müssen.

Bedarfsgerechtere Angebote

Der Gesetzentwurf enthält Klarstellungen hinsichtlich der Schließtage, die Auslegungskonflikte verringern, und grenzt die leider verbreitete Überschreitung der regulären Anzahl der Schließtage stärker ein, sodass eine gesetzesnähere Schließtagepraxis zu erwarten ist. Der LEB begrüßt, dass Maßnahmen vorgesehen sind, die Kitas in die Lage versetzen sollen, Öffnungszeiten anzubieten, die sich stärker am lebenswirklichen Bedarf der Familien orientieren, sieht allerdings Verbesserungspotenzial:

Die Familien in NRW erleben derzeit viel zu häufig, dass sie trotz Anspruch auf einen Betreuungsplatz, der dem individuellen Bedarf entsprechen soll, entweder keinen oder einen Platz erhalten, der eben nicht dem individuellen Bedarf entspricht.

Um den Bedarf zu decken, müssten aus unserer Sicht zwei Arten des Bedarfes erhoben werden:

  1. Anzahl der gewünschten Plätze: In Kita oder Tagespflege / U3 oder Ü3
  2. Betreuungsumfang / Betreuungszeiten

Grundlage für die Feststellung des Bestandes an Einrichtungen, Ermittlung des Bedarfs und die Planung der Kindertagesbetreuung, ist die Jugendhilfeplanung nach § 80 SGB VIII, die in den Kommunen sehr unterschiedlich und in der Realität häufig „an den Eltern vorbei“ durchgeführt wird.

Die festgelegten Quoten in NRW-Kommunen spiegeln häufig nicht die Realität wider. Die „Nicht-Ermittlung“ des realen U3-Bedarfes, hat zur Folge, dass der notwendige Ausbau nicht in allen Kommunen ausreichend vorangetrieben wird.

Bedarfsermittlung ohne Elternbefragung sehen wir als Ursache, warum die Bedarfe der Familien nicht abgedeckt werden, denn es kann nicht errechnet werden, ob Eltern eine Betreuung für ihr Kind wünschen und wie diese gestaltet sein sollte. Die Stellungnahme der „Arbeitsgemeinschaft der kommunalen Spitzenverbände Nordrhein-Westfalen“ bestätigt uns in der Annahme, dass der konkrete Bedarf unter Berücksichtigung der Elternwünsche in Kommunen kaum erhoben wird und auch eine zukünftige Erhebung vermieden werden soll.

Der bisher vorliegende „angemessene Gestaltungsspielraum“, den die Jugendämter bei der Jugendhilfeplanung haben, hat aus Sicht des LEB dazu geführt, dass die Kommunen aktuell vielerorts ein bedarfsgerechtes Angebot nicht garantieren können. Der Rechtsanspruch auf Betreuung hilft wenig, wenn man ihn erst einklagen muss. Hier erwarten wir vom Gesetzgeber ein deutliches Zeichen, damit zukünftig eine bedarfsgerechtere Betreuung in allen Kommunen stattfindet.

Dabei sein ist nicht gleich Inklusion

Gleichberechtigte Teilhabe kann nur gelingen, wenn alle Kinder, auch Kinder mit Förderbedarf bzw. Behinderungen, gleichermaßen nach ihren Fähigkeiten gefördert werden. Das bedeutet jedoch auch einen geeigneten Rahmen für Kinder mit Förderbedarf zu schaffen. Für eine gelingende Inklusion erachtet der LEB die Schaffung kleinerer Gruppen von höchstens 15 Kindern, davon max. 5 mit Förderbedarf, für notwendig. Für Kinder, die eine intensive Betreuung benötigen, sollten Mini-Gruppen von maximal 8 Kindern geschaffen werden. Erzieherinnen und Erzieher sollten im Umgang mit behinderten Kindern fortgebildet werden. Vor Ort sind Therapeuten (Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie) einzusetzen. Es mangelt an Barrierefreiheit, geeigneten Hilfsmitteln, geeigneten Therapie- und Rückzugsräumen, passenden Spielgeräten und gesicherten Außengeländen. Besondere Kinder benötigen eine besondere Betreuung, nur dann kann eine gleichberechtigte Teilhabe gelingen und alle Kinder mit und ohne Behinderung können voneinander profitieren.

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